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Gebt euch keinen Illusionen hin. Solange der letzte Rest von Omnius nicht vernichtet ist, wird unser Krieg gegen die Denkmaschinen weitergehen – und genauso lebendig wird meine Entschlossenheit sein.
Höchster Bashar Vorian Atreides
Nach Quentin Butlers Tod und der gewaltsamen Auslöschung des letzten Titanen Dante saß Vorian allein und benommen in der Dream Voyager. Er ließ das Schiff treiben, während er sich durch einen Berg erstickender Erinnerungen wühlte.
Seine Bewunderung für Quentins Opfer war größer als die Trauer um den Menschen. Nachdem man ihm seinen menschlichen Körper genommen hatte, gab es nichts Größeres mehr, auf das ein überragender militärischer Anführer hätte hoffen können. Zumindest hatte Vorian sich darum bemüht, dass der Primero seinem Sohn Abulurd Verständnis entgegenbrachte. Jetzt würde er ihm eine Botschaft überbringen und ihm sagen, was sein Vater geleistet hatte.
Vorian flog das Schiff zurück nach Hessra und landete auf der eisigen Ebene am Fuß der düsteren, halb verschütteten Festung der Kogitoren, wo die letzten Titanen ihren Stützpunkt eingerichtet hatten. Er verließ die Dream Voyager und war nun das einzige menschliche Wesen auf diesem Planeten. Obwohl er seinen Pilotenanzug trug, spürte er die alles durchdringende Kälte. Die arktischen Winde zerrten an ihm, und der Sternenhimmel tauchte die zerklüftete Landschaft in einen milchigen Schein.
Als er sich der ehemaligen Festung der Kogitoren näherte, erkannte er, dass Quentins Erklärungen zu Agamemnons Todesschaltung korrekt gewesen waren. Auf dem Eis stieß Vorian auf sieben zusammengebrochene mechanische Körper, die sich nicht mehr rührten. Sie sahen wie tote Insekten aus, die Arme und Beine aus Metall in den ungewöhnlichsten Haltungen erstarrt. Die Gehirnbehälter der Neos waren rot getrübt, nachdem sich das Elektrafluid mit explodierter Gehirnmasse vermischt hatte.
Ein Aktionskörper, in dem noch ein Funke Leben steckte, trat aus der dunklen Öffnung des Eingangs unterhalb der Zitadelle hervor. Er bewegte sich taumelnd und lief im Kreis, weil nur noch zwei Beine richtig funktionierten. Vorian stand schweigend da und beobachtete, wie die Maschine einen letzten Schritt machte und dann zusammenbrach.
»Wenn ich wüsste, wie ich deine Qualen verlängern könnte, würde ich es tun«, sagte er, dann lief er am immer noch zitternden Koloss vorbei in die Zitadelle.
Zwei der Sekundanten kamen ihm desorientiert entgegen. Vorian staunte über die Stärke ihres Lebenswillens. Er war kein großer Freund der Kogitoren gewesen, deren naives politisches Verständnis Serena dazu veranlasst hatte, zur Märtyrerin zu werden, aber er empfand Sympathie für die bedauernswerten menschlichen Sekundanten, die von den Cymeks versklavt worden waren. »Ihr habt trotz allem überlebt.«
»Mit Mühe«, antwortete einer der Mönche. Die Stimme aus dem Lautsprecher klang verzerrt. »Wie es scheint ... haben wir Sekundanten ... eine höhere Schmerztoleranz ... entwickelt.«
Er blieb mehrere Stunden lang bei ihnen, bis beide gestorben waren.
Eine ähnliche Todesserie würde es im Verlauf des nächsten Jahres auf den anderen Cymek-Welten geben, wenn das Bestätigungssignal ausblieb, das die Neos zum Überleben benötigten. Vorian fragte sich, ob einige von ihnen in Erfahrung brachten, was mit den Titanen geschehen war, und nach einer Möglichkeit suchten, sich zu retten. Er bezweifelte, dass sie es schafften, da General Agamemnon solche Dinge immer sehr gründlich geregelt hatte.
Vorian schüttelte traurig den Kopf. »Es gibt kein Ende der Illusionen, denen wir anhängen ...«
Nachdem er genug gesehen und sich davon überzeugt hatte, dass alle Cymeks sterben würden, stapfte er zur Dream Voyager zurück. Er kam sich wie ein Schiffbrüchiger in einem Fischerboot auf den Meeren Caladans vor. Der Djihad war sein Leben und für lange Zeit sein einziges Ziel gewesen. Was würde nun aus ihm werden, nachdem alles vorbei war? Es hatte bereits unvorstellbare Verluste gegeben; viele Milliarden Menschen hatten ihr Leben gelassen. Und nun hatte er einen Vatermord begangen. Ein schreckliches Wort für eine solche Tat. Es bereitete ihm Übelkeit, wenn er daran dachte, dass die Tat notwendig gewesen war ... dass all das notwendig gewesen sein sollte.
Vorian Atreides hatte eine breite Blutspur im Ozean seines Lebens hinterlassen, aber jede Tragödie und jeder Triumph waren notwendig gewesen, zum Wohl der Menschheit. Er hatte entscheidend zum Niedergang der Denkmaschinen beigetragen – von der Großen Säuberung der Synchronisierten Welten bis zur Vernichtung der Titanen.
Aber es war immer noch nicht vorbei. Eine Aufgabe war noch unerledigt.
Bei seiner Rückkehr nach Salusa Secundus übermittelte Vorian keine feierlichen Botschaften. Er wollte keine Lobreden und Empfänge, obwohl er dafür sorgen würde, dass Quentin Butler als wahrer Held geehrt wurde.
Obwohl er vor über zwei Monaten aus der Armee der Menschheit ausgetreten war und die Liga verlassen hatte, konnte er problemlos ein Treffen mit dem Viceroy vereinbaren. Niemand außer Abulurd hatte je den wahren Grund erfahren, warum Vorian den Dienst quittiert hatte, aber nun sollten sie erfahren, dass er sich auf die Jagd nach den Cymeks gemacht hatte. Und dass sie erfolgreich verlaufen war ...
Auf seinem Weg durch Zimia sah Vorian die Folgen des kürzlichen Aufstandes – vernagelte Fenster, verkohlte Bäume an den Prachtstraßen, Rauchspuren an den einst alabasterweißen Wänden der Verwaltungsgebäude. Die Brände waren gelöscht worden, und der Mob hatte sich zerstreut, aber die Schäden blieben sichtbar. Als er sich dem Parlamentsgebäude näherte, blickte er sich erstaunt und entsetzt um.
Ich bin nicht der Einzige, der eine schwere Schlacht hinter sich hat.
Drinnen war Faykan Butler damit beschäftigt, die Trümmer zusammenzufegen, die verstörte Bevölkerung zu beruhigen und Raynas erstarkender Bewegung genügend Konzessionen zu machen, um sie einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Zwischen zwei hektischen Komiteesitzungen legte der Viceroy eine Pause ein, um den Höchsten Bashar zu empfangen. »Ich muss Ihnen von Ihrem Vater erzählen«, sagte Vorian.
Faykan hörte voller Erstaunen und Genugtuung vom Tod der Titanen, dann verfiel er in tiefe Trauer, als er vom tragischen und zugleich heldenhaften Ende seines Vaters erfuhr. »Viele Jahre lang stand ich ihm sehr nahe«, sagte er, während er steif und förmlich an seinem Schreibtisch saß. Als Politiker hatte er gelernt, seine Gefühlsregungen zu beherrschen. »Ich gebe zu, dass ich mir seinen Tod gewünscht habe, als ich hörte, dass er am Leben war, aber in einen Cymek konvertiert wurde. Offenbar hegte er den gleichen Wunsch.«
Er zog einen Stapel Dokumente heran, die auf seine Unterschrift warteten. »Nachdem ich dies erfahren habe ... denke ich, dass es das Beste ist, worauf wir hoffen konnten. Er lebte und starb nach dem gleichen Credo – dass ein Butler niemandes Diener ist.« Er tat einen tiefen Atemzug, der nur im letzten Moment in ein Zittern überging. Faykan sprach lauter, als müsste er sich selbst überzeugen. »Mein Vater hätte niemals zugelassen, zum Sklaven der Cymeks zu werden.«
Der Viceroy räusperte sich und schien wieder seine politische Maske aufzusetzen. »Vielen Dank für Ihre Dienste, Höchster Bashar Atreides. Wir werden die Nachricht über das Ende der Titanen in einer offiziellen Bekanntmachung verbreiten. Es freut mich, dass ich Sie wieder in den Dienst der Armee der Menschheit aufnehmen kann.«
Obwohl Abulurd seinem Vater nicht sehr nahe gestanden hatte, schien der junge Mann mit größter Erschütterung auf die Nachricht von Quentins Tod zu reagieren. Er hatte ein sensibles Wesen und empfand Schmerzen und Tragödien mit ganzem Herzen, während Faykan gelernt hatte, sich vor übermäßigen Reaktionen auf die Schrecken des Krieges und die Unannehmlichkeiten des Lebens abzuschotten.
Dann lächelte Abulurd, und für einen kurzen Moment war die Trauer aus seinem Gesicht verschwunden. »Ich trauere um meinen Vater ... aber in Wirklichkeit habe ich mir viel größere Sorgen um Sie gemacht, Höchster Bashar, um die Risiken, die Sie eingegangen sind, um die Qual, die Sie durchgemacht haben.«
Vorian schluckte den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte, während er an die seltsamen Wendungen der Dinge dachte. Dieser begabte junge Offizier war der Sohn von Quentin, der nichts für ihn übrig gehabt hatte ... während Vorians Söhne auf Caladan wiederum nichts mit ihrem Vater zu tun haben wollten. Wenn er Abulurd betrachtete, erkannte er den wahren Grund, warum er in der Liga geblieben war. »Dein Vater war immer ein großer Held. Die Geschichte wird ihn angemessen würdigen. Dafür werde ich sorgen.«
Abulurd zögerte und senkte den Kopf. »Wenn doch nur Xavier Harkonnen eine solche Gelegenheit erhalten hätte. Ich befürchte, die Kommission ist mit seiner Rehabilitation keinen Schritt weiter gekommen. Wie sollen wir jemals die Wahrheit beweisen, nachdem so viele geschichtliche Dokumente vernichtet wurden? Oder wird es dadurch einfacher für uns?«
Vorian richtete sich auf. »Es wird höchste Zeit, dass wir den ungerechtfertigten Makel auf dem Namen der Harkonnens entfernen. Nachdem ich die Titanen besiegt habe, bin ich vielleicht in der Lage, eine Resolution zu bewirken.«
Abulurd sah ihn mit erschöpfter Erleichterung an.
»Zuvor jedoch«, sagte Vorian mit fester Stimme, »will ich ein letztes Problem lösen. Auf unserer Weste gibt es weiterhin einen großen Schmutzfleck. Ich glaube, dass die Armee der Menschheit mit genügend Entschlossenheit bei der Bewältigung der Aufgabe erfolgreich sein kann, die wir in der Vergangenheit nicht erfüllen konnten. Ich fürchte, wenn wir die Gelegenheit jetzt versäumen, wird es die Liga niemals schaffen.«
Abulurd sah ihn blinzelnd an. »Von welcher Aufgabe reden Sie, Höchster Bashar?«
»Ich habe vor, nach Corrin zurückzukehren – und den Planeten vollständig zu vernichten.«
Abulurds Kopf zuckte überrascht zurück. »Aber Sie wissen doch, wie viele Verteidigungsschiffe die Roboter im Orbit stationiert haben. Diesen Riegel können wir niemals durchbrechen.«
»Wir können ihn durchbrechen – wenn wir genügend Kraft in den Schlag legen. Der Vorstoß könnte uns ein hohes Opfer abverlangen, sowohl an Schiffen als auch an Menschenleben. Aber da Omnius auf Corrin gefangen ist, könnte dies unsere letzte Chance sein. Sollten die Denkmaschinen jemals entkommen und sich erneut ausbreiten, stehen wir wieder genau dort, wo wir vor einem Jahrhundert waren. Wir dürfen nicht zulassen, dass es dazu kommt.«
Abulurd wand sich. »Wie wollen Sie das Parlament überzeugen? Sind unsere Soldaten bereit, gegen eine derart unfassbare Drohung zu kämpfen und zu sterben? Niemand scheint die Gefahr deutlich genug zu erkennen, selbst nach dem Angriff der Metallschrecken. Ich glaube, die Menschen haben ihren Kampfeswillen verloren. Sie sind kriegsmüde.«
»Ich habe mir ihre Ausreden jahrelang angehört, aber nun werde ich sie zur Einsicht bringen«, sagte Vorian. »Ich habe die Titanen und die Cymeks ausgeschaltet, und ich verstehe die Gefahr, die von den Denkmaschinen droht, besser als jeder andere. Ich werde keine Ruhe geben, bis die Menschheit vor ihnen sicher ist. Ein massiver Angriff ist unsere beste Strategie. Ich muss diese Arbeit zu Ende bringen. Unterschätzen Sie meine Überzeugungskraft nicht, wenn es um Dinge geht, die mir sehr viel bedeuten.«
Die zwei Männer gingen längere Zeit in nachdenklichem Schweigen nebeneinander her, bis Abulurd sagte: »Wann sind Sie zu einem Falken geworden, Höchster Bashar? Früher waren List und Täuschung Ihre Stärke, doch nun plädieren Sie für einen offenen militärischen Angriff. Das erinnert mich ...«
»... an Xavier?« Vorian lächelte. »Als er noch lebte, waren mein alter Freund und ich oft unterschiedlicher Meinung, aber nun hat sich gezeigt, dass er Recht hatte. Ja, ich bin zu einem Falken geworden.« Er schlug Abulurd auf die Schulter. »Von nun an soll der Falke mein Symbol sein. Er soll mich stets an meine Pflicht erinnern.«